Föderalismus und falsch verstandener Wettbewerb

Welchen Schaden der Föderalismus und falsch verstandener Wettbewerb anrichten, kann man schön am Beispiel der Wanderungsbewegungen von Lehrern sehen. In der FAZ findet sich wieder einmal ein Artikel darüber: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/keine-angemessene-beschaeftigung-lehrer-auf-gepackten-koffern-11629178.html

Wann immer ich solche Berichte lese, freue ich mir ein Loch in den Bauch, nicht Lehrer geworden zu sein. Drei negative Erlebnisse haben dazu ihren Teil beigetragen:

1) Bei der Wahl der Prüfungsgebiete für das 1. Staatsexamen in Berlin begegnete mir die Borniertheit des Landesprüfungsamts gleich in doppelter Weise. Für das Fach Neuere deutsche Literatur hatte ich die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts quasi ‚verbrannt‘, indem ich meine Examensarbeit über eine späte, 1946 posthum erschienene Erzählung Gerhart Hauptmanns schrieb. Bei der Anmeldung mußte eine Epochenzuordnung her, „Erzählliteratur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ oder so ähnlich lautete sie, ohne daß ich ahnte, welche Konsequenzen das für den Rest des Prüfungsverfahren haben würde. Unerfreulich war dann die Diskussion über die weiteren beiden Gebiete (für Klausur und mündliche Prüfung), wo ich gern „Goethe als Erzähler“ (das schloß die Romane ein) und „Tragödie und Tragödientheorie im frühen 20. Jahrhundert“ wählen wollte. Das Tragödienthema war der Referentin im Landesprüfungsamt zu eng! Wahrscheinlich hatte sie keine Vorstellung, daß man dazu die Tragödientheorie von Aristoteles bis Brecht, die Abzweige zum bürgerlichen Trauerspiel in der Aufklärung bis zu den Nachwirkungen bei Hebbel (‚Maria Magdalene‘) und Hauptmann (‚Rose Bernd‘) gewärtig haben mußte, um 1900 dann die Erneuerungsversuche bei Hofmannsthal und in der Neuklassik (u.a. Paul Ernst) zu verstehen. Bis zu Hans Henny Jahnn, von dem ich bis dahin noch nicht einmal etwas gelesen hatte, wollte ich damals gehen. Das Thema wäre der schiere Wahnsinn gewesen, weil es so umfassend war, und entsprechend irritiert war ich über die Begründung, es sei zu eng. Nachdem dann Goethe als Erzähler ohne Diskussion durchging (Goethe liebte man damals im Landesprüfungsamt, der ging immer), brauchte ich also etwas weiter gefaßtes als das Tragödienthema – und durfte „Lyrik der Wiener Moderne“ nehmen. Da fehlen mir noch heute, fast 15 Jahre später, die Worte. Damals endete das Gespräch mit meiner Bemerkung, ich behielte mir vor, noch den Studienabschluß von Lehramt zu Magister zu wechseln, so wütend war ich. Aber die Referentin setzte später noch einen drauf. Natürlich war ich beim Staatsexamen geblieben, schließlich war die Hausarbeit geschrieben, die Prüfung in Erziehungswissenschaft und Psychologie abgelegt und die in Mathematik stand bevor. Nach Abschluß der letzten Teilprüfung war die Referentin dann offenbar vom Notendurchschnitt beeindruckt und verabschiedete sich mit den Worten, Leute wie mich könne der Berliner Schuldienst gebrauchen.

2) In den Berliner Schuldienst zu gehen, daran dachte ich schon damals nicht mehr, schließlich wollte ich schon seit fast sieben Jahren so schnell wie möglich Berlin verlassen… Also bewarb ich mich in Hessen, damals noch nicht wissend, daß dieses Bundesland lieber ausgebildete Lehrer anderer Bundesländer einstellt als selbst welche auszubilden. Damit die Bewerbung überhaupt bearbeitet werden würde, sollte ich bereits Führungszeugnis und Gesundheitszeugnis einreichen. Und zwar auf eigene Kosten, die nur im Falle der Einstellung erstattet würden. Das Führungszeugnis beantragte (und bezahlte) ich noch, auf das Gesundheitszeugnis verzichtete ich dann nach etwas Nachdenken und zog meine Bewerbung zurück. Eine Sache des Prinzips, wie ich auch bis heute vermeiden konnte, mich irgendwo zu bewerben, wo ich gleich das Porto für die Rücksendung der Unterlagen (und womöglich Empfangsbestätigung) beilegen muß. Wer will schon in einer Einrichtung arbeiten, die sich nicht einmal das Porto für elementarste Aufgaben leisten kann?

3) Nach dem ich die Bewerbung in Hessen zurückgezogen hatte, bewarb mich noch in Niedersachsen, wo man vier Wunschorte angeben durfte. Das waren bei mir, weil ich der Meinung war, zum Atmen eine Universitätsstadt mit Universitätsbibliothek in Fahrradnähe zu brauchen, in dieser Reihenfolge: Göttingen, Hannover, Braunschweig, Hildesheim. Schon Braunschweig und Hildesheim wären keine schönen Kompromisse gewesen, tatsächlich wurde ich aber dem Studienseminar Salzgitter zugewiesen. Über die Gründe ist mir nichts bekannt, und ich freute mich, kurz danach die Zusage einer Projektförderung und eine halbe Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu erhalten und das Referendariat noch einmal für mindestens zwei Jahre zurückstellen zu können.

Diese Zeit reichte dann, um einen schönen Beruf zu finden (der Schuldienst war plötzlich nur noch zweite Wahl), und über den Umweg eines Stipendiums schließlich nicht ein Lehramtsreferendariat, sondern das Bibliotheksreferendariat zu absolvieren. Berlin mußte ich dann erst verlassen, als ich gern dort geblieben wäre. Selbst das wäre möglich gewesen, aber da Bibliotheken u.a. Behörden sind, kommt es natürlich auch dort vor, daß es den Verwaltungen gelingt, Bewerber zu vergraulen. Und wer mobil ist und es nicht nötig hat, sich unter Wert zu verkaufen, stimmt eben mit den Füßen ab.

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Erinnerung an einen Film von Theo Angelopoulos

In einem Film aus der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gibt es eine Szene, die man so schnell nicht vergißt, wenn man überhaupt so weit gekommen ist: Eine überlebensgroße Lenin-Statue aus Beton oder ähnlich stabilem Material wird zerlegt und mit einem Kran auf ein Schiff verladen. Anschließend wird über einen langen Zeitraum (gefühlte 20 Minuten) gezeigt, wie das Schiff die Donau herunter fährt. Wechselweise sieht der Zuschauer von oben das Schiff mit dem flachgelegten Lenin und das Ufer, wo sich teilweise Menschen versammeln, um das (für sie) vorbeifahrende Schiff zu betrachten. Untermalt wird die Szene durch die Musik der griechischen Komponistin Eleni Karaindrou, gesprochen wird nicht. – So jedenfalls meine Erinnerung an diese Szene, eine großartige bildliche Veranschaulichung des aufgehört haben real zu existierenden Sozialismus.

Diese Szene ist Teil des großartigen, fast dreistündigen Films ‚Der Blick des Odysseus‚ von Theo Angelopoulos, den ich zweimal im Kino sehen durfte. Das eine Mal war Zufall, eigentlich wollte ich nur dem Lärm der nervtötend knackenden Heizungsrohre in meiner damaligen Wohnung entfliehen. Das Kino Arsenal, damals noch in der Welserstraße in Berlin-Schöneberg, war nicht weit, und die Ankündigung des Films klang zumindest nicht abschreckend. Das zweite Mal war dann Absicht, und ich überredete in meiner Begeisterung eine Freundin, mitzukommen. Zur oben beschriebenen Szene meinte sie nach dem Ende des Films: Die Idee, auf diese Weise das Ende des real existierenden Sozialismus zu zeigen, sei ja sehr gut, aber ganz so ausgiebig hätte der Regisseur seine Idee doch nicht feiern müssen. Ein halbes Jahr später revidierte sie ihre Einschätzung: Es sei genau richtig gewesen, durch die Langsamkeit und Länge der Szene hätten sich die Bilder regelrecht ins Gedächtnis „eingebrannt“.

Lange hat es übrigens gedauert, daß ‚Der Blick des Odysseus‘ (wieder?) auf DVD erhältlich war. Im letzten Jahr erschien er in Originalfassung mit deutschen Untertiteln (Hinweis bei http://dvdbiblog.wordpress.com/2011/03/05/theo-angelopoulos-bei-trigon/, in Deutschland auch erhältlich über den Filmverleih Kairos in Göttingen: http://shop.kairosfilm.de/), zusammen mit weiteren, im Kino ganz selten zu sehenden Filmen von Angelopoulos. (Aus der Box mit sechs Filmen von ‚Die Tage von 36‘ bis ‚Landschaft im Nebel‘ habe ich bislang nur ‚Der Bienenzüchter gesehen, der leider unter einer furchtbaren Bildqualität leidet, als ab man eine VHS-Kassette digitalisiert hätte.)

Während der Dreharbeiten zum Abschluß einer Trilogie, von der ‚Eleni – Die Erde weint‘ und ‚The Dust of Time‘ schon zu sehen waren, ist Theo Angelopoulos am 24. Januar an den Folgen eines Verkehrsunfalls gestorben. Ein Nachruf (weitere lassen sich leicht recherchieren): http://www.tagesspiegel.de/kultur/film-polarkreise-der-seele/6112894.html

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Nicht London, sondern Hannover …

Nicht etwa London, wie man es sich bei Lektüre von Sherlock-Holmes-Geschichten vorstellen könnte, sondern Hannover im Nebel. (Vor ein paar Wochen.)

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Gerhart-Hauptmann-Theater in Zittau von Schließung bedroht

Wie aus mehreren Anfragen an die Gerhart-Hauptmann-Gesellschaft hervorgeht, soll das einst nach Gerhart Hauptmann benannte Theater in Zittau seinen Namenspatron verlieren. Auf der Homepage ist darüber noch nichts zu finden, als Betreiber des seit Anfang 2011 wieder mit dem Theater Görlitz fusionierten Theaters ist dort die „Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau GmbH“ genannt. Wie man einer aktuellen Petition entnehmen kann, ist sogar geplant, die Theatersparte zu schließen. Wer die Petition zeichnen möchte, kann das hier tun:

https://www.openpetition.de/petition/online/theater-zittau-muss-bleiben

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Hofstaat oder Loyalität?

Hofstaat oder loyale, d.h. bei Bedarf auch kritische, Mitarbeiter? „Zur Loyalität gehört die Einsicht: Der Kopf ist nicht zum Nicken, sondern zum Denken da!“

http://www.zeit.de/2011/43/C-Coach Leider ziehen zu viele den „Hofstaat“ vor… Die These des Artikel ist theoretisch trivial, praktisch jedoch hochrelevant.

http://www.zeit.de/2011/43/C-Coach

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Die Digitalisierung von Gerhart Hauptmanns Briefnachlaß

In der Ausgabe vom 15. Oktober 2011 des Berliner »Tagesspiegel« stellt David Bedürftig das groß angelegte Projekt zur Erschließung von Gerhart Hauptmanns Briefnachlaß vor. Das von der DFG geförderte Gemeinschaftsprojekt der Staatsbibliothek zu Berlin und der Freien Universität Berlin sieht vor, alle Briefe zu digitalisieren und über die zentrale Autographendatenbank Kalliope auffindbar zu machen; die Briefe Hauptmanns sollen überdies mit Regesten erschlossen werden.

Wer mehr darüber erfahren möchte, hat dazu Gelegenheit am 12. November 2011 im Gerhart-Hauptmann-Museum, Erkner bei einem Vortrag von Tim Lörke und Edith Wack. Ferner berichten Peter Sprengel und Tim Lörke im Rahmen der  Ringvorlesung »Im Dickicht der Texte. Editionswissenschaft als interdisziplinäre Grundlagenforschung« (FU Berlin) am 11. Januar 2012, 18.15-20 Uhr unter dem Titel »Gerhart Hauptmann digital. Probleme und Herausforderungen einer Briefregestenedition in Kalliope« über das Projekt, auf dessen Ergebnisse man gespannt sein darf. Es wird die Recherchen in Hauptmanns Briefnachlaß erheblich verbessern, da man bis heute auf unvollständigen Listen angewiesen ist, die nur  teilweise einen Zugang nach Personen ermöglichen, teilweise große Sammelrubriken enthalten – ganz zu schweigen davon, daß selbst diese bescheidenen Findmittel nur im Handschriftenlesesaal der Staatsbibliothek verfügbar sind und es weder eine Online-Fassung gibt noch – zumindest bis vor ein paar Jahren -, das Kopieren erlaubt wurde. 

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Was man beim Aufräumen nicht alles findet.

Was man beim Aufräumen (physisch oder in Daten) nicht alles findet… Hier eine Todesanzeige, die nie veröffentlicht wurde, weil damals, als das Studium sein Leben ausgehaucht hatte, vorerst das Geld für Wichtigeres (Miete, Lebensmittel) benötigt wurde. Da sich das Genre gewisser Popularität erfreut (vgl. http://www.todesanzeigensammlung.de/), hole ich das damalige Versäumnis nun an dieser Stelle nach.

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„Blockwart-Manier“

Im Kunstunterricht sprach einer meiner früheren Kunstlehrer (und nebenbei regional berühmter Kunstmaler) gern von „Blockwartmanier“. So richtig verstanden habe ich das damals nicht, denn bei uns auf dem Dorf gab es das nur ansatzweise, nicht wert, es mit dem harten Begriff zu belegen. Nach mehr als 20 Jahre in Städten und Mehrfamilienhäusern verbrachten Jahren hat sich der Begriff mit reichlich Anschauung gefüllt. Das Foto zeigt ein besonders übles, weil zudem gefährliches Beispiel aus der Rumannstraße in Hannover. Wann immer dort beim Auszug (meistens aus der Nummer 5, wo die Fluktuation besonders hoch ist, wie ich in achteinhalb Jahren feststellen konnte; nach etwa fünf Jahren war ich derjenige, der dort am längsten gewohnt hatte) jemand etwas zurückließ, was er nicht hätte zurücklassen dürfen, oder wann immer auch Müll und Altpapier zu früh oder zu spät an die Straße gestellt wurden, gab es einen aufmerksamen Blockwart offenbar aus einem der Nachbarhäuser, der Müllsäcke und sperrige Gegenstände direkt vor dem Hauseingang der Nummer 5 abstellte. Mit seinem Verdacht, daß die Ursache bei einem der Bewohner (oder einer der Bewohnerinnen) dort lag, hatte er im Zweifelsfall durchaus recht. Sein Verhalten ist dennoch schärfstens zu verurteilen: Für das asoziale Verhalten eines Hausbewohners, der wahrscheinlich schon längst ausgezogen ist, pauschal die Bewohner sieben weiterer Wohnungen in Kollektivhaft zu nehmen (von ‚Sippenhaft‘ kann nicht die Rede sein, weil es sich um unabhängige Haushalte handelt), ist mindestens ebenso asozial. Im Beispiel des Kleiderständers (oder was auch immer der Gegenstand im Hauseingang auf dem Foto sein soll), ist es sogar gemeingefährlich: Spätestens ab Einbruch der Dämmerung besteht die Gefahr, daß jemand darüber stolpert und sich verletzt. Dagegen ist es noch geradezu harmlos, wenn in der derselben Gegend ein (oder derselbe) Blockwart bei der Stadt Strafzettel bestellte, weil mal wieder ein neu Zugezogener den Tipp bekommen hatte, daß man vor der Fahrradgarage parken könne, weil eben nur Fahrräder darin stünden. – Dieser Nachbarschaft werde ich keine Träne hinterherweinen, wenn es endlich soweit ist.

(ursprünglich auf GooglePlus)

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Karikatur einer neugierigen Nachbarin

Karikatur einer neugierigen Nachbarin, die den eigenen Garten hinter einer Mattenwand verschanzt, dahinter aber den Weg so erhöht hatte, daß sie jederzeit den Überblick auch über den fremden Garten behielt (vor mehr als 25 Jahren erlebt und karikiert, wiedergefunden bei Umzugsvorbereitungen).

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Impressionen aus Budapest

In Budapest gibt es eine National Library of Foreign Literature (http://opac.oik.hu). Ich war allerdings nicht drin, da mich das Lukács-Archiv mehr beschäftigt hat. Auch das hat natürlich eine Webpräsenz, sogar dreisprachig: http://web.phil-inst.hu/lua/archivum/de/index.html. Unter „Fotoarchiv“ gibt es ein paar Abbildungen aus dem Archiv, das noch heute in Lukács‘ letzter Wohnung (1945-1971) untergebracht ist, im 5. Stock eines beeindruckenden Altbaus direkt am Ufer der Donau mit Blick auf den Fluß und die andere Seite der Stadt, vgl. http://g.co/maps/65z7.

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